ESCP: „Wir setzen auf die Magie des Hörsaals“ 

Von am 7. März 2024
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Der neue Rektor der ESCP Business School Berlin, Marketingprofessor Frank Jacob, über die Zukunft des MBA, die neue Online-Konkurrenz und das Trendthema Nachhaltigkeit.

Julian Birkinshaw von der London Business School sagte vor kurzem, der MBA habe seinen Höhepunkt überschritten. Sehen Sie das auch so? 

Dalia Marin, Professorin für internationale Ökonomie, schrieb vor kurzem im Tagesspiegel, die ultimativen Gewinner im Kampf um die Top-Talente werden Maschinen sein. Ob das so sein wird, weiß ich nicht. Aber der War for Talents wird sich in dieser Art nicht fortsetzen. Wenn das Humankapital durch Finanzkapital ersetzt wird, wird auch die Nachfrage nach Talenten geringer. Für Kandidaten wird es damit schwieriger, den eigenen Wert darzustellen. Und da setzt qualifizierte Bildung wie der MBA an. Insofern nehme ich wahr, dass sich Dinge ändern, aber ich glaube nicht, dass darunter die Bedeutung von MBA-Abschlüssen leiden wird.

Mittlerweile gibt es aber einige neue und preisgünstige Online-Angebote, die flexibles Lernen versprechen. Ist das eine neue Konkurrenz für Sie? 

Das Spektrum in diesem Angebotssegment ist auch sehr breit. Das startet bei komplett unseriösen Angeboten und reicht bis hin zu Angeboten, die Lehrmethoden und Ansätze von Hochschulen übernehmen. Aber Tatsache ist, dass sich die Bildungsrealität verändert hat. Das müssen wir akzeptieren und respektieren. Wir sehen auch eine Chance darin und integrieren eine stärkere Flexibilisierung oder die Einbindung von Online-Angeboten in unsere Programme.

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Gibt es an der ESCP auch bald einen Online-MBA?  

Wir glauben weiterhin an die Magie des Hörsaals. Das ist die Situation im Hörsaal, das direkte Miteinander, aus dem sich ein persönlicher Lerneffekt ergibt, der über den reinen Konsum von vorfabrizierten Online-Inhalten hinausgeht. Diese Magie herzustellen, schafft man nicht von heute auf morgen. Das machen andere Business Schools natürlich auch. Aber das Alleinstellungsmerkmal der ESCP ist der europäische Ansatz und internationale Rahmen. Der Hörsaal ist bei uns europaweit. Im MBA-Programm können wir auf die Ressource unserer sechs Campusse zurückgreifen. Beim Executive MBA haben wir jedes Jahr 80 bis 110 Teilnehmende. Diese sitzen selten im gleichen Hörsaal. Aber unser Modell macht es möglich, dass jeder dieser hundert Studierenden sich kennt. Zudem ist in all unseren Programmen eine Online-Option enthalten. Beim Executive MBA kann man alle Kernkurse online absolvieren und bei den Wahlfächern gibt es auch schon eine große Zahl von Online-Angeboten.

Wie viele Studierende machen davon Gebrauch? 

Bei der Einschreibung unseres EMBAs entscheiden sich etwa acht Prozent von vornherein für die Online-Variante der Kernkurse. Aber auch wer das nicht tut, kann auf das Online-Angebot zurückgreifen, wenn etwa kurzfristig ein anderer Termin dazwischenkommt. So kommen wir auf 10 bis 15 Prozent der Studierenden, die das Online-Angebot wahrnehmen.

Die neuen Online-MBAs sind aber viel preiswerter. An der ESCP kostet ein Vollzeit-MBA 57.000 Euro und der Executive MBA 79.000 Euro.

Da muss man dann schon genauer hinschauen. Wenn man etwas Vergleichbares im Hinblick auf die ECTS-Punkte will, steht dahinter ein klares Zeitgerüst. Jeder Punkt entspricht etwa einem Arbeitsaufwand von 25 bis 30 Stunden. 90 ECTS-Punkte lassen sich damit in mindestens eineinhalb Jahre übersetzen und dann bleibt es in der Regel auch nicht bei Discount-Preisen. Wir sind von der Qualität unseres Angebots und unserem europäischen Ansatz überzeugt.

Wie funktioniert Ihr Modell bei der Rekrutierung der Studierenden? 

Wir rekrutieren in ganz Europa – und dies auf internationaler Basis. Wir haben z.B.  einen indischen Studenten, der in den Niederlanden lebt oder eine Griechin, die in Luxemburg lebt und arbeitet. Ein Student an der ESCP ist keinem Campus zugeordnet. Ein französischer Bewerber kann sich auch in Deutschland bewerben oder ein deutscher in Italien. Neben europäischen Studierenden haben wir auch viele internationale Kandidaten, etwa aus dem asiatischen oder indischen Raum. Hier verschmelzen die Grenzen. Die 80 bis 95 Teilnehmende pro Jahr sind Teil unseres europäischen MBA-Programms und können die Kurse ganz frei auf den verschiedenen Campusse besuchen. Beim Executive MBA wählen die Teilnehmenden die Kurse nach zeitlicher Verfügbarkeit oder ihren Präferenzen aus.

Die ESCP ist eine französische Grande École und noch immer als französisch geprägt.

Die ESCP wurde vor 200 Jahren in Frankreich gegründet. Aber wir sind heute eine europäisch aufgestellte Hochschule. Bevor ich das Amt als Rektor der ESCP Business School Berlin angenommen habe, war ich vier Jahre Koordinator des europäischen Department of Marketing. Die einzelnen Disziplinen sind über ganz Europa verteilt an den verschiedenen Standorten organisiert. Die Mitglieder haben einen sehr diversen Hintergrund. Die nationale Frage ist nachgeordnet.

Die ESCP hat mehr als 10.000 Studierende und über 6.000 Manager, die Programme besuchen. Wie verteilen sich die Teilnehmenden auf die Campusse?

In Frankreich gibt es rund 3.500 Studierende und Teilnehmende. Der Fokus der ESCP liegt auf unserem Multi-Campus-Modell. Dies entspricht auch unserer europäischen Vision von Vielfalt, Weltoffenheit und interkulturellem Denken, das sich in unseren Programmen widerspiegelt. Im MBA sind es im Schnitt 80 bis 95 Studierende. Im Executive MBA 80 bis 110 Teilnehmenden.

Wie viele sind es in Deutschland?

2017 hatten wir 400 Studierende hier auf dem Campus über das Jahr. Heute sind es knapp 1000 und das Ziel ist, bis 2030 rund 1200 Studierende in Berlin zu haben. Unser Bachelor ist enorm gewachsen, aber auch der Master, teils durch weitere Differenzierung, etwa grundständige Specialised Master Programme (non-executive). Früher stand immer unser generalistisches MiM Programm (Master in Management) im Zentrum. Seit 2016 haben wir dieses durch ein Portfolio von spezialisierten Master-Programmen erweitert. Im Vollzeit MBA haben wir in Berlin jährlich zwischen 20 und 40 Studierende. Zählt man alle unsere Studierenden zusammen und vergleicht man sie mit der Anzahl der BWL-Studierenden an den anderen Berliner Universitäten, sind wir in Hinblick auf die Studierendenzahl die drittgrößte Hochschule in Berlin.

Und das Ziel der ESCP? 

Die Campusse außerhalb von Frankreich werden wachsen und das Ziel ist, einer Balance zwischen den Standorten zu schaffen. Mittelfristig wollen wir, was die Größe der Fakultät, die Anzahl der Studierenden und die Ausstattung der Campusse, zu einer ausgeglichenen Situation über ganz Europa hinweg gelangen. Und wir wollen uns international in die Top-Gruppe der Business Schools dieser Welt bewegen.

Dazu müssen Sie auch in der Forschung zulegen.

Europäische Business Schools haben immer unter dem Forschungs-Output gelitten. Wir haben den Bedarf erkannt und ein System eingeführt, das sich MyESCP nennt und vier verschiedene Career-Tracks für die Fakultät unterscheidet. Einer davon ist der S-Track. Das steht für Science. Die ESCP hat sowohl was Strukturen als auch Budget betrifft deutlich in Forschung investiert in den letzten Jahren. Und das zahlt sich aus. Zum einen ist die Anzahl der Publikationen in A-Journals enorm gestiegen. In meiner Zeit als Koordinator im European Department of Marketing der Hochschule habe ich in den vier Jahren an jedem Campus mindestes zwei neue Kollegen rekrutiert. Viele der Rekrutierten sind aus dem Nicht-europäischem Ausland. Und es hat sich gezeigt, dass die Forschungsmöglichkeiten an der ESCP sehr attraktiv für Nachwuchswissenschaftler sind.

Ein aktuelles Thema ist Nachhaltigkeit oder Sustainability. Was tun Sie da? 

Wir verankern dieses Thema auf verschiedenen Ebenen. Ich sehe Nachhaltigkeit als Herausforderung unserer Zeit. Wir als Business School sehen uns nicht als Teil des Problems an, sondern als eine Lösung. Dafür stehen wir. Im erweiterten Managementboard in Paris gibt es einen Associate Dean for Sustainability, der verantwortlich für alle Campusse ist. An allen Standorten wenden wir die Prinzipien der Nachhaltigkeit konsequent an. Auch inhaltlich es ein ganz großes Thema. Im MBA und Executive MBA ist Nachhaltigkeit ein Pflichtfach. Es gibt verschiedene Wahlfächer und im Executive MBA gibt es ein fünftägiges Sustainability Induction Seminar. Am Berliner Campus haben wir außerdem ein Centre for Sustainability Transformation & Applied Research (STAR) eingerichtet, das ein Umfeld schafft, in dem sich Unternehmen und Einzelpersonen über die Umgestaltung nachhaltiger Geschäftsmodelle austauschen können. In den letzten FT-Rankings haben wir sowohl beim MBA als auch beim EMBA-Ranking in der Kategorie ESG sehr gut abgeschnitten. In der Kategorie „ESG (Environmental Social Governance)“ belegt das EMBA-Programm der ESCP im FT-Ranking 2023 etwa Platz 2 weltweit.   

Und wie gehen Sie mit KI um?

Wir sehen KI einmal als Inhaltskomponente, als Lehrinhalt. In all unseren Programmen gibt es dazu Kurse, wie KI das Business beeinflusst, welche Auswirkungen sie auf Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen und auf Beschäftigte hat. Wir sehen KI auch als große Chance, wenn es um die Gestaltung von Lehre geht. Es ist möglich, Kursformate und Videos mithilfe von KI zu produzieren. Als große Hochschule sind wir in der Lage, die notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und die Weiterentwicklung unserer Faculty voranzutreiben. Wir haben interne Best-Practice-Arbeitsgruppen. Es gibt Kollegen, die sich ausschließlich dem Thema widmen und Train-the-Trainer Modelle. Zudem definieren wir KI auch als Alltagskompetenz für unsere Mitarbeiter. Das beginnt beim Prompt Engineering und endet beim Aufstellen von themenspezifischen GPTs für unsere Teams.

Gerade KI entwickelt sich so rasant. Bis Sie das im Lehrplan integrieren, ist es schon wieder überholt.

Das ist aber auch nicht neu. Das ist in der digitalen Welt immer der Fall. Auch da kommt uns wieder unsere Größe zugute. Wir haben über Europa hinweg eine Faculty von über 140 Kollegen, allein in Berlin über 20. Jeder ist umfassend integriert und vernetzt. Da kann ein Kollege Konzepte oder Tutorials für die anderen entwickeln. Es gibt viel Platz für gemeinsamen Austausch.

In Deutschland war der MBA-Markt noch nie einfach, vor allem beim Vollzeit-MBA. Sehen Sie da eine Zukunft? 

Der Vollzeit-MBA richtet sich an Bachelor- und Master-Absolventen aller Fächer. Er dient dazu, die jeweilige Bildungskarriere mit der Zusatzkomponente “Management” auszustatten. Hier hat der MBA auch weiter seine Berechtigung. Aber die Deutschen sind schon lange nicht mehr die größte Gruppe der Studierenden bei uns. Im internationalen Bereich ist dieses Verständnis von MBA vielleicht klarer. Mit dem Executive MBA bereiten sich Führungskräfte auf die Übernahme von Topmanagement-Funktionen vor. Dafür wird es auch zukünftig einen großen Bedarf geben, den wir mit unserem Angebot decken werden.

Das Interview führte Bärbel Schwertfeger

Professor Frank Jacob ist Dezember 2023 Rektor der ESCP Business School in Berlin. Er wurde 2002 zum Professor für Marketing an die ESCP berufen und ist seitdem Mitglied des European Department of Marketing. Professor Jacob studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und an der University of Michigan (USA), wurde an der Freien Universität Berlin promoviert, habilitierte sich dort und war Gastwissenschaftler an der Western Sydney University in Australien. Er publiziert regelmäßig in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften zu Themen des Dienstleistungsmarketing sowie den Möglichkeiten, die digitale Technologien im Marketing bieten. Er hatte Lehraufträge an Hochschulen und Universitäten in verschiedenen Regionen, darunter Westeuropa, Mittel- und Osteuropa, dem Nahen Osten, Süd- und Südostasien, den USA sowie Australien.

Foto Bärbel Schwertfeger, MBA Journal

Über Bärbel Schwertfeger

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin und seit 1985 als freie Journalistin im Bereich Management, Weiterbildung und Personalentwicklung tätig.