EBS-Prozess: Schützenhilfe von SZ-Redakteur Hans Leyendecker
Am Wochenende veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Artikel ihres Redakteurs Hans Leyendecker über den Untreue-Prozess gegen Ex-EBS-Präsident Christopher Jahns. Der Artikel enthält einige falsche Tatsachen und ist auch eine Abrechnung mit der Staatsanwaltschaft. Dort nachgefragt und seine Aussagen verifiziert hat Leyendecker jedoch nicht.
Vergangene Woche wurde das Strafverfahren wegen gewerbsmäßiger Untreue gegen den ehemaligen Präsidenten der EBS Business School, Christopher Jahns, vorläufig eingestellt. Der 44-Jährige befindet sich laut einer Pressemeldung seines Sprechers Dirk Metz in einem „pychopathischen Zustand“ und ist verhandlungsunfähig.
„Szenen einer Tragödie“– Christopher Jahns, Ex-Rektor der European Business School, ist tief gefallen. Medien und Staatsanwälte haben ihn verfolgt. Einiges erinnert sehr an den Fall Wulff“ titelt die Süddeutsche Zeitung in ihrer Wochenend-Ausgabe. Verfasser des Artikels im Wirtschaftsteil ist Hans Leyendecker, der bisher als so etwas wie der „Papst des investigativen Journalismus“ in Deutschland galt. Wer mit dem Fall Jahns etwas vertraut ist, reibt sich beim Lesen verwundert die Augen.
Schon der Vergleich mit Ex-Bundespräsident Christian Wulff hinkt erheblich. Dort ging es um bezahlte Hotelrechnungen. Bei Jahns geht es dagegen um den Vorwurf der mehrfachen gewerbsmäßigen Untreue.
So soll er als EBS-Präsident Rechnungen in Höhe von 180.000 Euro von der EBS an die Beratungsfirma BrainNet bezahlt haben, ohne dass dafür entsprechende Leistungen erbracht wurden – damit würde es sich um Scheinrechnungen handeln. Jahns war damals selbst an BrainNet beteiligt. Die Gelder sollen dann – das belegen Kontoauszüge – von BrainNet an Jahns eigene Firmen in der Schweiz weiter geleitet worden sein. Das Gericht geht daher davon aus, dass die 180.000 Euro nur Teil eines Systems sind, bei dem Gelder aus der EBS über BrainNet an Jahns Privatfirmen bezahlt wurden.
Zudem geht es um die unerlaubte private Nutzung seines Dienstwagens in 52 Fällen. Außerdem wollte Jahns offenbar eine halbe Million Euro aus seinem Lehrstuhl an der EBS für angefallene Kosten in seinen Privatfirmen nutzen, wozu es aber nicht mehr kam, nachdem der Spiegel Anfang 2011 einen Artikel über Jahns` undurchsichtiges Firmengeflecht und die Verbindungen zur Hochschule berichtet hatte. Jahns bestreitet die Vorwürfe bis heute.
Es stelle sich schon die Frage, schreibt Leyendecker, „ob die Anklagebehörde erst einen Popanz aufbaut, sich dann furchtbar verirrt hat, aber uneinsichtig bleibt. Wie bei Wulff“. Weiter schreibt der SZ-Redakteur: „Die Geschichte mit den Scheinrechnungen, die im Haftbefehl noch stand, stimmte nicht. „In Abweichung zum Haftbefehl“ müsse „davon ausgegangen werden, dass den einzelnen Rechnungspositionen doch Leistungen von BrainNet zugrunde“ lagen, räumten die Strafverfolger ein und weiter: „Die Ermittler tauschten den Vorwurf aus. Die Leistungen, räumten sie ein, seien zwar erbracht worden, aber „pro bono“ erfolgt. Also zum Wohl der Öffentlichkeit. Der Verzicht auf eine sechsstellige Summe wäre bei einer Kapitalgesellschaft wie BrainNet allerdings ungewöhnlich. Pro bono läuft gewöhnlich nichts. Diese Konstruktion der Ermittler ist zumindest fragil.“
Laut schriftlicher Aussage der Staatsanwaltschaft Wiesbaden ist das jedoch eindeutig falsch: „Die Behauptung, die Staatsanwaltschaft habe „den Vorwurf ausgetauscht“, ist unzutreffend. Die Tatvorwürfe aus dem ursprünglichen Haftbefehl wurden (neben weiteren Tatvorwürfen) Gegenstand der zugelassenen Anklage zum Landgericht und waren Gegenstand der Hauptverhandlung. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden geht – auch und gerade nach der bislang durchgeführten Hauptverhandlung – nach wie vor davon aus, dass die in den Rechnungen von BrainNet bezeichneten Leistungen nicht Grundlage für eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der EBS sind bzw. sein können. Dabei ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Frage, ob BrainNet andere Leistungen „pro bono“ erbracht hat, für den Tatvorwurf irrelevant.“
Das hätte Leyendecker schnell verifizieren können, wenn er bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt hätte. Hat er aber nicht. „Herr Leyendecker hat zu mir als amtierendem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden keinen Kontakt gehabt, um die von ihm behaupteten Tatsachen zu verifizieren“, schreibt Oberstaatsanwalt Klaus Schulte..
Auch Leyendeckers Ausführungen zu dem – außer Vollzug gesetzten – Haftbefehl im April 2011 sind laut Aussage der Staatsanwaltschaft falsch. So schreibt er: „Anfang April 2011 suchten Beamte Jahns frühmorgens heim. Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss und einen Haftbefehl dabei… Er wurde aber festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Vom Haftrichter wurde er unter Auflagen freigelassen, weil sich rasch herausstellte, dass der Vorwurf der Bedrohung, der auch im Haftbefehl stand, nicht stimmte.“
Dazu erklärt die Staatsanwaltschaft: „Gegenstand des seinerzeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom Ermittlungsrichter erlassenen Haftbefehls war der Tatvorwurf der gewerbsmäßigen Untreue in vier Fällen, nicht (auch) der Tatvorwurf der Bedrohung gemäß § 241 StGB. Anlässlich der Eröffnung des Haftbefehls und Anhörung des Beschuldigten durch den Ermittlungsrichter erfolgte eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen umfangreiche Auflagen, unter anderem gegen die Auflage, der Beschuldigte habe jeglichen Kontakt zu allen im Haftbefehl genannten Zeugen (sowie weiteren näher bezeichneten Personen und Institutionen) zu unterlassen. Diese Auflagen waren nach Ansicht des Ermittlungsrichters geeignet, die Verdunkelungsgefahr zu beseitigen und sicherzustellen, dass keine Beeinflussung von Zeugen durch den Beschuldigten stattfinden könne.“
Und auch bei der angeblichen „Morddrohung“ von Jahns gegenüber einem damaligen EBS-Professoren hat Leyendecker wohl vor allem das wiedergegeben, was ihm Jahns` Berater diktiert hatten. So schreibt er: „Wilde Geschichten wurden kolportiert. Angeblich habe Jahns Zeugen unter Druck gesetzt und mit Mord gedroht. Das war, wie sich später herausstellte, nicht wahr. Ein besonders leidenschaftlicher Jahns-Gegner hatte das kolportiert.“
Den damals betroffenen Professor hat der SZ-Redakteur nicht gefragt, wie dieser schriftlich bestätigt. Dann hätte er nämlich auch erfahren, dass der FAZ bereits in einem Beschluss des Oberlandesgerichtes Frankfurts gegen Androhung einer Ordnungsstrafe in Höhe von bis zu 250.000 Euro untersagte wurde, zu behaupten, dass mehrere Zeugen die „Morddrohung“ widerlegt hätten. Der Professor bleibt bis heute bei seiner Aussage.
Das sind nur einige Stellen in dem Artikel, die einen ratlos machen. Schließlich gilt Leyendecker, der Ressortleiter Investigative Recherche“ ist, als einer der renommiertesten Journalisten Deutschlands. Er schrieb laut SZ-Angaben fast zwei Jahrzehnte für den Spiegel, arbeitet seit 1997 für die Süddeutsche Zeitung und brachte – allein oder im Team – unter anderem die Affären Flick, Lambsdorff, Späth, Steffi Graf und Kohl ans Licht. Für seine Enthüllungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland, darunter den Henri-Nannen-Preis für investigative Leistung 2007.
Warum setzt Leyendecker mit dem Artikel seine hervorragende Reputation und natürlich auch die der Süddeutschen Zeitung aufs Spiel? Warum hat er nicht einmal journalistische Mindeststandards eingehalten und die Staatsanwaltschaft mit seinen Vorwürfen konfrontiert?
Die Antwort auf eine entsprechende Anfrage macht einen noch sprachloser als der Artikel selbst. „Ich habe mich intensiv mit dem Fall beschäftigt. Natürlich sind die Scheinrechnungen vom Tisch, dazu gibt es einen Beschluss der Staatsanwaltschaft. Im Prozess geht es darum schon lange nicht mehr. Natürlich gehen die Ermittler nicht mehr von einer Morddrohung aus. Dies geht aus dem Beschluss des Haftrichters hervor, dies erklärt die Staatsanwaltschaft auch auf Anfrage“, schreibt Leyendecker.
Seine Recherche habe „beide Seiten umfasst“ – wovon man zumindest bei der Staatsanwaltschaft nichts weiß. Dort zeigt man sich über seine Aussagen „zutiefst erstaunt“ und auf welche angeblichen Beschlüsse der Staatsanwaltschaft sich Leyendecker bezieht, sei ein Rätsel.
PS: Herr Leyendecker ist natürlich nicht SZ-Herausgeber, wie es in der ersten Version hieß. Er ist „nur“ Leiter des Ressorts Investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung. Ironie der Geschichte: Entstanden ist der Fehler aufgrund einer Rundmail von Christopher Jahns. Noch am Erscheinungstag hatte er den kompletten Artikel in eine Email kopiert und an einen wohl recht großen Verteiler geschickt. In der Betreffzeile hatte Jahns geschrieben: „Süddeutsche Zeitung von heute: „Szenen einer Tragödie“, 1 Seite des Herausgebers Leyendecker über meinen „Fall“. Ich würde mich übers Lesen freuen. Herzlichst, Christopher Jahns.“ Sorry für den Fehler!