Der heilige Gral
Sozial denken, unternehmerisch handeln – immer mehr Business Schools beschäftigen sich mit dem Thema Social Entrepreneurship und reagieren damit auf die Nachfrage der Studenten. Die wollen zwar wirtschaftlich erfolgreich sein, aber dabei auch die Welt verbessern.
Für Grace Sai war völlig klar, wo sie ihr MBA-Studium absolvieren wollte. „Für mich kam nur die Said Business School infrage“, sagt die Malaysierin. Denn die zur Oxford University gehörende Schule gilt als eine der führenden europäischen Managerschulen im Bereich Social Entrepreneurship. Und genau darin möchte die 26jährige ihre Kenntnisse ausbauen und ein Netzwerk zu Gleichgesinnten knüpfen.
„Social Entrepreneurship befasst sich damit, wie ein Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen ein soziales oder gesellschaftliches Problem lösen und dennoch einen finanziellen Gewinn erwirtschaften kann“, erklärt Colin Mayer, Dean der Said Business School. Bereits 2003 wurde an der Schule das „Skoll Centre for Social Entrepreneurship“ gegründet – dank einer 4,44 Millionen Pfund schweren Spende des ersten Ebay-Präsidenten Jeffrey Skoll. Seitdem werden jedes Jahr fünf Vollstipendien an herausragende Social Entrepreneure vergeben.
Grace Sai bekam eines davon. Nach ihrem Bachelor in Wirtschaft an der Nanyang Business School in Singapur hatte sie als Beraterin in Jakarta gearbeitet und Mai 2008 nebenbei das Non-Profit-Unternehmen Books for Hope gegründet, das sich um die Einrichtung von Büchereien und Computer-Labs für Kinder in entlegenen Dörfern in Indonesien kümmert. Innerhalb von zwei Wochen hatte sie ein Mitarbeiter-Team gewonnen und nach drei Monaten gab es bereits Büchereien in sechs Dörfern von Westsumatra bis Ostjava. „Ich bin Unternehmerin, will Geld verdienen und trotzdem etwas für die Gesellschaft tun“, sagt Sai.
In Europa – und vor allem in Deutschland – war das Konzept des Sozialunternehmers bis vor ein paar Jahren noch weitgehend unbekannt. Aufschwung bekam das Thema erst 2006 als Muhammad Yunus mit seiner Grameen Bank den Friedensnobelpreis erhielt.
Seitdem gilt der aus Bangladesch stammende Wirtschaftswissenschaftler als Paradebeispiel für einen erfolgreichen Social Entrepreneur, der mit seiner innovativen Idee, Armen Kleinkredite ohne Sicherheiten zu gewähren, ein wirtschaftlich erfolgreiches Geschäftsmodell entwickelt hat.
Inzwischen hat sein Konzept viele – auch profitorientierte – Nachahmer gefunden. Dabei ist ein Sozialunternehmen ist nicht an eine bestimmte legale Struktur gebunden, aber im Gegensatz zu rein profitorientierten Unternehmen geht es darum, mit dem Geschäft einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben.
In den USA ist Social Entrepreneurship schon aufgrund des unterschiedlichen Sozial- und Steuersystems von jeher viel tiefer verwurzelt. So bieten führende Business Schools wie die Wharton School, die Fuqua School of Business an der Duke University oder die Stanford Graduate School of Business schon länger entsprechende Kurse in ihrem MBA-Programm an. „Social Entrepreneurship ist sehr beliebt bei den Studenten und die Nachfrage nimmt zu“, sagt Gina Jorasch, Direktorin des Public Management Program am Center for Social Innovation in Stanford.
Nach einem Bericht des US-Magazins Businessweek ist die Zahl der Bewerber an den US-Topschulen, die nach dem MBA-Studium eine Karriere im Bereich Nachhaltigkeit, Mikrofinanzierung, Nonprofit oder Sozialunternehmen anstreben, deutlich gestiegen.
Natürlich spielt dabei auch die Wirtschaftskrise eine Rolle: Wer keine Stelle mehr im Investmentbanking bekommt, sucht sich wenigstens einen sinnvollen Job. Dass das Interesse nur vorrübergehend ist, glaubt Jorasch dennoch nicht. „Die heutige Generation ist mit sozialen und Umweltproblemen konfrontiert, die nicht verschwinden, wenn der Arbeitsmarkt wieder anzieht“, sagt die Stanford-Direktorin.
Etwas Gutes tun und dabei auch wirtschaftlich erfolgreich sein, sei das neue Mantra, beobachtet auch Mary Miller, Assistant Dean of Admissions an der Columbia Business School in New York. Dort hat bereits die Hälfte der MBA-Studenten irgendeinen Bezug zu Sozialunternehmen, sei es im Unterricht, im Studentenclub oder in dem Social-Enterprise-Programm der Schule.
Felix Oldenburg wundert das nicht. „Viele Studenten fragen sich, welche Karriere will ich machen?“, sagt der Geschäftsführer von Ashoka Deutschland, einer weltweit tätigen Organisation, die sich bereits seit 1980 um die Förderung von Sozialunternehmern kümmert. „Die Aussicht, mit ökonomischen Konzepten die Welt zu verändern und dabei noch Geld zu verdienen, das ist doch wie der heilige Gral.“
In Oxford interessiert sich inzwischen rund die Hälfte der MBA-Studenten für das Thema – auch wenn bei weitem nicht alle ein Social Entrepreneur werden wollen. Auch wer in eine Bank gehe, könne sich dort für mehr gesellschaftliche Verantwortung einsetzen, sagt Pamela Hartigan.
Künftig werde die Lösung von gesellschaftlichen Problemen auch bei profitorientierten Unternehmen zunehmend zum Bestandteil ihres Kerngeschäfts werden, sei es um sich besser im Wettbewerb zu positionieren oder neue strategische Wachstumsfelder zu erschließen, glaubt die Direktorin des Skoll Centre und plädiert daher dafür, das Thema in den gesamten Lehrplan zu integrieren.
In Oxford spielen dabei Skoll-Stipendiaten einen besonderen Part. „Die wirken manchmal wie ein Virus“, sagt Hartigan. Auch Grace Sai sieht sich als Rollenmodell. Dass sie mit ihren Ansichten manchmal bei ihren Kommilitonen aneckt, stört sie nicht. „Man kann keinen zwingen, ein Sozialunternehmer zu werden“, sagt die MBA-Studentin. „Aber zumindest erfahren sie etwas darüber.“
Lorenz Koch findet das sehr bereichernd. „Vorher habe er mit dem Thema nichts zu tun gehabt“ sagt der 30Jährige, der vor dem MBA-Studium in Oxford beim Schweizer Baustoffkonzern Holcim für das Management von CO2 Emissionsdaten zuständig war. Inzwischen verstehe er den Sektor besser und wisse, welche besonderen Herausforderungen es dort gibt.
„Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt Max Oliva, Direktor für Social Impact Management an der IE Business School in Madrid. So hätten in den letzten Jahren hätten fast alle Business Schools das Thema in irgendeiner Form integriert, sei es mit Spezialisierungen, Wahlkursen oder Projekten in Nonprofit-Organisationen. Dabei sei Social Entrepreneurship längst keine exotische Nische mehr. Letztlich ginge es doch immer darum, Unternehmen nachhaltiger zu führen, sagt Oliva. „Wir müssen die Grenzen zwischen Profit-Firmen, Sozialunternehmen und Nichtregierungsorganisationen aufheben und neue Hybride schaffen.“
An der IE Business School werden alle MBA-Studenten schon am Anfang des Studiums mit dem Thema konfrontiert. In dem Pflicht-Workshop „Base of the Pyramid“ geht es darum, die „Ärmsten der Welt“ etwa als Kunden oder Lieferanten in die unternehmerische Wertschöpfungskette einzubinden. Von den fünf Fallstudien, die die Studenten in Teams bearbeiten müssen, betreffen drei ein Sozialunternehmen. Später können sie sich dann für den Schwerpunkt Social Entrepreneurship entscheiden.
An der Insead Business School in Fontainebleau und Singapur gibt es ebenfalls ein eigenes Wahlfach, zu dem auch 16wöchiges internationales Feldprojekt gehört. Dabei bearbeiten Studententeams ein Projekt für eine Organisation, die sich um wirtschaftlich unterpriviligierte Menschen kümmert und werden dabei von zwei Professoren und einem Mentor betreut.
Auch im deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen erste Ansätze, soziale Themen in das Studium zu integrieren. So werden die Teilnehmer des Executive MBA an der Wirtschaftsuniversität Wien ab Herbst aufgefordert, die Preisträger des Wettbewerbs „Ideen gegen Armut“ bei der Umsetzung ihrer Konzepte zu unterstützen. Zudem ist Social Entrepreneurship erstmals auch Inhalt eines Pflichtmoduls.
An der Mannheim Business School gehören soziale Projekte in der Metropolregion Rhein-Neckar zum Lehrplan. Welches Projekt sie bearbeiten, definieren die Studenten selbst und nehmen Kontakt mit den Organisationen auf. So haben sie bereits die Deutschen Leukämie Forschungshilfe und die Mannheimer Tafel unterstützt.
Erstmals befassten sich auch die MBA-Studenten der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar in einem dreitägigen Pflicht-Workshop mit dem Thema.
Ein ehemaliger Manager berichtete über sein Sozialunternehmen auf den Philippinen, es gab Videokonferenzen mit Sozialunternehmern und die Studenten mussten einen Geschäftsplan für ein Projekt erarbeiten, bei dem Frauen auf Philippinen aus Plastikmüll Designer-Taschen knüpfen, die auch in Europa verkauft werden sollen.
„Der Kurs hat viele bewegt und ihnen ist bewusst geworden, dass wir unser Wissen auch dazu nutzen können“, erzählt Katharina Wagner, die nach ihrem Erststudium drei Jahre im Marketing tätig war. Für die 27jährige war der neue Kurs auch ein wichtiger Grund, sich für das Studium an der WHU zu entscheiden. „Ich baue gerade mit Freunden einen Verein für Straßenkinder in Lateinamerika auf“, erzählt Wagner. Sie ist sich sicher, dass das Thema auch in Deutschland an Bedeutung gewinnt: „Das wird definitiv ein wichtiger Sektor.“