Coaching im MBA: Zukunftsfrage für Business Schools?
Immer mehr Business Schools bieten ihren MBA-Studierenden ein Coaching an. Worauf sie dabei achten sollten, erklärt HHL-Professor Timo Meynhardt.
An erster Stelle der Ziele, die Teilnehmende mit ihrem MBA-Studium erreichen möchten, steht die persönliche Entwicklung (personal development). Das hat die Financial Times vor kurzem anhand der für ihre MBA-Rankings erhobenen Daten herausgefunden. Bei den Befragten an einem Online MBA geben diesem Ziel sogar zwei Drittel der Befragten den höchstmöglichen Wert. Erst an zweiter Stelle liegt ein höheres Gehalt. Kein Wunder, dass daher auch immer mehr Business Schools auf die persönliche Entwicklung ihrer Studierenden setzen, verbunden mit Selbstreflexion, der Arbeit am eigenen Mindset, Coaching und manchmal auch dem Einsatz von Persönlichkeitstests.
„Ich sehe einen Grund für die steigende Bedeutung der persönlichen Entwicklung in MBA-Programmen im gesellschaftlichen Rahmen, in dem wir in unserer sehr individualisierten westlichen Welt stark auf Selbstverwirklichung, Selbstoptimierung und Sinnerwartung zielen“, sagt Professor Timo Meynhardt, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Leadership an der HHL Leipzig Graduate School of Management. „Da entsteht beim Einzelnen sofort das Gefühl von Defizit und der Wunsch nach Optimierung.“ Und darauf sprängen dann auch die Business Schools mit entsprechenden Angeboten auf. Denn sie seien von jeher konservativ, indem sie die aktuellen Themen in der Gesellschaft und Wirtschaft verstärken und damit eine auf den marktwirtschaftlichen und individuellen Erfolg zielende Grundordnung bestätigen.
Den Begriff Persönlichkeitsentwicklung hält er dabei jedoch für zu hoch gegriffen und zudem stelle sich die Frage, welches Recht Hochschullehrer haben, die Persönlichkeit der Teilnehmenden systematisch zu entwickeln. Das sei für ihn auch eine Grenzüberschreitung. „Wir können die Kompetenzentwicklung vorantreiben, aber nicht die Entwicklung der Persönlichkeit on erwachsenen Teilnehmenden“, so Professor Meynhardt. Die Einbindung von Outdoor-Aktivitäten, wie sie in einigen MBA-Programmen angeboten wird, hält er für überholt. Das seien allenfalls soziale Aktivitäten zur Teambildung, die sich aber nicht dafür eignen, ernsthaft an den eigenen Stärken und Schwächen zu arbeiten.
„Meiner Meinung nach werden sich die Business Schools durchsetzen, die es schaffen, diese neue Innerlichkeit mit gesellschaftlichen Themen zu verbinden“, so Professor Meynhardt. Das bedeute, dass die Arbeit an der eigenen Person nicht nur zur Selbstoptimierung und zu einem aufgeblasenen Ego führt, sondern zu verantwortungsvoll handelnden Führungskräften. „Die großen Herausforderungen wie Geopolitik oder Klimakrise brauchen Menschen mit gereiften Persönlichkeiten“, so der Psychologie-Professor. Persönliche Entwicklung dürfe nie ein Selbstzweck sein und ein Coaching für mehr Karriereerfolg müsse im Dienst gesellschaftlicher Anforderungen und verantwortungsvoller Führung stehen.
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Coaching brauche daher einen Kompass. An der HHL sei das das Leipziger Führungsmodell. „Gute Führung bedeutet, immer auch für die Gemeinschaft mitzudenken und seine Ziele unternehmerisch verantwortungsvoll umzusetzen „, erklärt der Professor. Das sei der Rahmen, in dem Coaching stattfindet und auf den jeder Coach eingenordet sei. Er begleite den Teilnehmenden, in diese Führungsphilosophie hineinzuwachsen.
Auch an der HHL sei das Angebot von Coaching inzwischen ein „Riesenthema“. Die Frage sei jedoch, welche Teile des sowieso schon straffen MBA-Programms die erweiterte persönliche Entwicklung möglicherweise verdränge. Der HHL-Professor hält es dabei für problematisch, wenn dadurch die fachliche Ausbildung leide. Die Argumentation, dass man die fachlichen Inhalte heute auch im Selbststudium online erwerben könne, lässt er dabei nicht gelten. „Da gibt es schon einiges zu lernen, was sich nicht online im Selbststudium lernen lässt wie die Stärkung des eigenen Denkens oder die Methodenkompetenz“, so der Professor. „Die Schule des guten Denkens kann nicht durch Coaching ersetzt werden.“ Manchmal habe er den Eindruck, Coaching sei so eine Art Notlösung, wenn den Business Schools nichts anderes mehr einfalle. Doch Coaching dürfe kein Ersatz für fehlende gute Inhalte sein.
Zudem müssten die Angebote zur persönlichen Entwicklung auch professionell sein. Dazu seien auch die Arbeits- und Organisationspsychologen gefordert, die den Business Schools gegenüber oftmals eher negativ eingestellt seien. „Sie müssen mit ihren Methoden das Feld professionalisieren“, fordert Professor Meynhardt. „Das heißt auch, dafür zu werben, dass bestimmte Sachen nicht gemacht werden.“ Dazu gehöre zum Beispiel der Einsatz von fragwürdigen Persönlichkeitstests wie dem Typentest MBTI, der immer noch an etlichen Business Schools genutzt werde. „Wenn Business Schools ernst genommen werden wollen, müssen sie sich professionellen Diagnostik-Standards öffnen“, mahnt der Psychologe. Auch beim Coaching müsse zumindest versucht werden, den wissenschaftlichen Charakter hoch zu halten.
„Die Antwort auf die Coachingfrage ist eine Zukunftsfrage für viele Business Schools“, so der Psychologe. Denn es gehe nicht darum, noch mehr KI oder Coding anzubieten, sondern um den Umgang mit dem Human Faktor. So könne über die Business Schools vielleicht sogar eine neue Welle der Humanisierung des Arbeitslebens anstoßen werden. „Wir müssen wegkommen von dem rein instrumentellen Ansatz, der die Mitarbeitenden resilienter und stressresistenter machen soll“, so der Psychologe. Diese Art von Erfüllung des Verwertungsinteresses sei letztlich eine neue Form der Ausbeutung. Wenn die persönliche Entwicklung auf die Frage reduziert werde, wie man aus den Führungskräften noch mehr Leistung rausquetschen könne, sei das eine bedenkliche Fehlentwicklung.
Vielleicht sei der stärkere Fokus auf die persönliche Entwicklung ihrer Teilnehmenden für die Business Schools aber auch ein Weg, einmal aus ihrem konservativen Ansatz der vorrangingen Bedürfniserfüllung der Wirtschaft auszubrechen und neue Akzente zu setzen. Auch wenn sich der Widerspruch zwischen dem Verwertungsinteresse der Unternehmen und echter persönlicher Entwicklung nicht ganz aufzuheben lasse, könnten sie ihn zumindest besser artikulieren. Meynhardt: „Wenn die Business Schools es schaffen, mit einem gesellschaftsdienlichen Coaching die innere Arbeit mit den äußeren Erfordernissen zusammenzubringen, wäre das echt emanzipatorisch.“